Von Annegret Handel-Kempf
„Wir müssen draußen bleiben“: Das heißt es künftig nicht nur in bayerischen Restaurationsbetrieben für Menschen, die nicht alle Auflagen erfüllen, um hineinzukommen. In viel größerem Maße, nämlich für alle Feierlustigen, gilt das für das Oktoberfest in der bayerischen Landeshauptstadt. Weil die große Schunkel- und Schaustellerbetriebe-Gaudi ein Volksfest ist und deshalb für alle offen sein soll. Nicht nur für einige wenige, speziell für Menschen mit einem Bapperl im Impfausweis. Offen für alle sein, genau genommen für die ganze Welt, ist die Intention des einstigen Hochzeitsfestes bayerischer Thronfolger, das Altbayern und Franken miteinander versöhnen sollte. Denn das Besondere des Münchner Oktoberfestes liegt ja darin, dass nicht nur Franken und Altbayern, sowie Schwaben, sondern sogar Australier, Italiener und Japaner gleichermaßen sich verbrüdern und verschwestern, wenn sie zur angeblichen Volksmusik auf den Tischen tanzen.
In Pandemiezeiten ist das schwierig. Sollen nur ortsansässige Münchner oder noch ein paar weitere Bayern aufs Traditions-Volksfest gehen dürfen? Das lohnt sich nicht, denn wer zuhause „vorwärmen“ kann, bringt den Wiesn-Wirten nicht genug Umsatz. Und zwei Wochen lang kann kein Münchner täglich auf die Wiesn ziehen, um das Geld, das er in dieser Zeit nicht verdient, mit exponentiellem Zuschlag auszugeben. Außerdem müsste man – wie draußen, vor der Wiesn – Masken tragen, wenn es eng wird. Abstand halten. Am besten sollten eh nur die Geimpften reingelassen werden, die aber womöglich ungeimpfte Bedienungen über Viren-Transmissionen anstecken. Schwierig, schwierig. Somit müssen doch einmal mehr alle draußen bleiben. Das Volk, die Welt, beim weltgrößten Gaudi-Fest. Auch wenn das in den ersten Monaten der Pandemie noch keiner gedacht hätte. Wer weiß, wie es weiter geht, mit Nicht-Wiesn, Digital-Wiesn, Dubai-Wiesn oder Masken-Wiesn?
„Man kann mit Prognosen ziemlich daneben liegen. Vor einem Jahr habe ich hier gesagt: Nächstes Jahr gibt es bestimmt wieder ein Oktoberfest“, sagte der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter am ersten Montag im Mai vor der kurzfristig eingeladenen Presse. Als das „globalste Fest überhaupt“ sei die Wiesn erneut nicht machbar. So der bayerische Ministerpräsident Markus Söder nach einem Gespräch mit Reiter. Den Kommunen werde empfohlen, dass auch die weiteren großen Volksfeste in Bayern nicht stattfinden sollten.
Der Donnerschlag fiel in diesem Jahr merklich leiser aus. Mehr überrascht als die Absage der Wiesn 2021 hätte es nicht nur die Münchner, wenn das weltgrößte Volksfest in diesem Jahr nach mehr als eineinhalb Jahren Pandemie stattgefunden hätte. Denn wenn es ein Synonym fürs Nicht-Abstandhalten gibt, dann ist es die entfesselte Umarmung der Gemütlichkeit auf der Theresienwiese in der bayerischen Landeshauptstadt. „Wer einmal auf der Wiesn war, für den ist klar: Das ist einfach nicht vorstellbar“, so der OB. Er habe sich mit Wirten und Beschickern getroffen. Laut Reiter hätten die Planungen für die diesjährige Wiesn jetzt konkretisiert werden müssen. „Sehr schade“ sei die Entscheidung für die Millionen Fans der Wiesn, aber auch wegen ihrer „existenziellen Auswirkungen“ für die Menschen, die dort arbeiteten.
Manch einen verwunderte es, dass das Oktoberfest überhaupt ein Thema war. In einer Situation, in der nicht einmal Biergärten mit der eigenen Familie besucht werden dürfen. In der Jugendliche – auch ohne Alkohol – abends nicht gemeinsam am Olympiaberg, im Englischen Garten, an der Isar oder den Münchner Haus-Seen zusammensitzen dürfen. In der auf der Theresienwiese ständig wie am Fließband getestet wird, weil kaum mehr ein Bett auf den Intensivstationen frei ist.
„Wir hatten eine Situation mit Werten um 25. Das ist mittlerweile mehrere Monate her“, erklärte Reiter. „Seither sind wir nur in eine Richtung unterwegs gewesen: Steigend. Da geht der Gesundheitsschutz eindeutig vor. Bei allen berechtigten Interessen, wirtschaftlicher Art.“
Doch sollten bis September nicht alle Menschen ein Impfangebot erhalten haben? Und selbst die Kinder bis zum Schulbeginn im September geimpft sein?
„Ich wäre sehr froh, wir hätten ein Impfangebot für alle in der Bevölkerung“, sagte Reiter dazu. Und verwies wieder auf die Ungenauigkeit von Vorhersagen. Außerdem: „Wie kriegen wir den Rest der Bevölkerung dazu, sich impfen zu lassen.“
Auf jeden Fall mag der 62-Jährige niemanden maßregeln, wenn es um das Leeren der Bierkrüge geht: „Ein Volksfest ist ein Volksfest. Da muss jeder hingehen können, der mag. Ohne Einschränkungen mit Blick auf Impfungen.“
Deshalb blickt er lieber auf die Wiesn 2022. So wie vor einem Jahr auf die Wiesn 2021: „Wenn es nächstes Jahr, und davon gehe ich aus, ein Oktoberfest geben wird, wird es wieder das Wiesn-Feeling geben“, sagte Reiter und verwies auf die „vielen Anmeldungen für dieses Jahr“, obwohl seit langem ziemlich klar war, und nicht nur ihm, dass das Oktoberfest in diesem Jahr nicht mit seinen Millionen Besuchern stattfinden kann.
Das unbeschwerte Wiesn-Feeling werde sich einstellen, „sobald wir wieder feiern dürfen und dabei ein gutes Gefühl haben, weil die allermeisten geimpft sind. Sowie die Pandemie weltweit okay ist.“ Eine sichere und ausgelassene Atmosphäre wünscht sich Münchens Oberbürgermeister für eine Wiesn, die endlich nicht mehr nicht stattfindet. Alle sollen hingehen können, ohne Einschränkungen durch Kontaktbeschränkungen.
Eine Nicht-Wiesn 2022 schließt hingegen der Ministerpräsident des Freistaats nicht aus. Söder: „Keiner kann sagen, wie sich die Pandemie entwickelt. Wir versuchen das zu machen, was möglich ist. Dieser Kurs ist der seriöse.“
Zu Trachten, Dirndln und Lederhosen könnte es bei der nächsten Wiesn, die nicht nicht stattfindet, allerdings eine Ergänzung im Kopfbereich geben. Söder geht nämlich davon aus, „dass uns die Maske in irgendeiner Form bleiben wird.“ Wenn auch nicht als Verpflichtung, sondern als automatische Schutzvorkehrung, wie sie in Asien schon seit Zeiten der Vogelgrippe Usus sei.
„Manches bleibt, manches wird neu erfunden“, resümierte der bayerische Regierungschef. Das Wiesn-Feeling komme wieder, weil die Menschen danach „hungern“ würden. Fröhlich beisammen sein und ungezwungen feiern. Bier konsumieren und im Vorfeld mit großem Ernst debattieren, um wieviel der Bierpreis in diesem Jahr steigt. Oder gar sinkt, weil die Pandemie alles auf den Kopf gestellt hat?
„Die Wahrscheinlichkeit, dass die Wiesn stattfindet, ist wahrscheinlich höher als die Wahrscheinlichkeit, dass der Bierpreis sinkt„, übte sich der Mathe-Fan genussvoll in Wiesn-Wahrscheinlichkeitsrechnungen. „Wir werden versuchen, die Wahrscheinlichkeiten zu managen.“
Für 2021 heißt es in München aber erst einmal wieder: „Obgsagt is“ statt „o’zapft is“. Und wem das nicht taugt, der kann sich zum Abklatsch nach Dubai aufmachen. So er denn fliegen und einreisen darf. Denn noch müssen viele draußen bleiben. Aber draußen ist es auch recht schön. Und zwischen Feierabend und Ausgangssperre bleibt eh keine Zeit zum Feiern.
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