Du kannst nicht immer 20 sein
… aber mit 28 Jahren trotzdem „ganz oben an die Tür klopfen“ – sofern sich die „Kühnen“-Prognosen für die weiteren Aussichten erfüllen.
Von Annegret Handel-Kempf

Seit mehr als zehn Jahren hat Deutschland einen Top-Spieler im Weltklasse-Tennis, den die Nation immer wieder gerne kritisiert. Weil er noch keinen Grand-Slam-Titel gewonnen hat. Weil er noch nicht Nummer eins der Ranglisten war. Gefühlt alles andere hat Alexander Zverev, genannt Sascha, schon erreicht. Sogar einen Olympiasieg.
Was angesichts des kollektiven Jammerns überrascht: Anlässlich der ATP Finals in Turin, trauen ihm Expertinnen in einer Presserunde von Sky, fürs nächste Jahr sogar eine Aufholjagd in die Top Zwei der Welt zu. Trotz seiner Verletzungen und mentaler Durchhänger im Verlauf von 2025. Angesichts seiner Finalteilnahmen am Saisonanfang und Saisonende, seines Könnens und mentaler Tricks, die helfen können, in einem müden Haufen am Saisonende die Nase vorne zu tragen.
Eine Kleinigkeit brauche man, sagt Andrea Petkovic, in Turin als Sky-Expertin am Start, dass die Motivation „einen Ticken mehr da ist als bei allen anderen, die genauso müde sind wie du. Und das kann den Riesen-Unterschied machen.“ Petko bringt als Hoffnungsschimmer für Zverev dessen neuen Mitbewohner „Mishka“ als motivierendes „Extra“ ins Spiel: „Es kann der neue Hund in Alexander Zverevs Familie sein. – Dass du für den spielst.“
In den Sozialen Medien ist es nicht zu übersehen: Alexander Zverev ist in der Tennistour-Saison 2025 auf einen neuen Hund gekommen. Mishka, übersetzt: „Bär“, heißt also der kleine Welpe, an dem er sich, Petko zufolge, hochziehen könnte. Auch bei den ATP Finals der besten acht Tennisspieler der Saison im italienischen Turin. Dann, wenn alle müde und erschöpft sind von einer Saison, die für die ATP-Profis der Spitzengruppe immer länger und intensiver wird. Die sie deshalb individuell künftig alle neu planen müssen, wenn sie ein langes Turnier nach dem anderen, über viele Runden, durchhalten und gewinnen wollen.
Im Rahmen der Sky-Presserunde zu den großen Jahresendfinals der Damen bei ihrem Weltverband WTA in Riad und der Herren von der ATP in Turin, war Frische ein Top-Thema auch der Sky-Expertinnen Andrea Petkovic und Patrik Kühnen. Die ehemalige Top-Ten-Spielerin aus Darmstadt kommentiert mit anderen Ehemaligen aus der Spitzenklasse deutscher Player, namentlich Boris Becker, Patrik Kühnen und Philipp Kohlschreiber, vom 9. bis 16. November die Nitto ATP Finals aus Turin. Diesmal gibt es eine Neuerung im Dschungel der Tennisübertragungen durch verschiedene Anbieter im Jahresverlauf: Die Live-Events der inoffiziellen Weltmeisterschaft der Männer sind nicht nur – wie die der Frauen – auf Sky Sport zu sehen. Sondern die ATP Finals sollen erstmals auf dem Sky Sport Tennis YouTube Channel entweder per „Single Match Access” für 1,99 Euro oder per „Day Pass Access” für 3,49 Euro buchbar und zu verfolgen sein. Und Andrea Petkovic und Boris Becker sollen gemeinsam Matches kommentieren. Also ein noch gar nicht so lange abgetretener Star der Golden-Girls-Ära und ein Alt-Star, der mit seinem Wimbledon-Sieg als 17-Jähriger Deutschland zur Tennis-Nation beförderte. Und der auch 40 Jahre später noch anhand seiner persönlichen Erfahrungen die aktuellen Spieler bewertet und berät.
Am 13. November feiern Petko und Boris als Kommentatoren-Doppel Premiere und gönnen sich auch gemeinsam Halbfinales und Finale. Nach dem Endspiel zeigt sich das eingespielte Podcast-Duo dem Publikum auch visuell im „Becker Petkovic“-Vodcast live.
Gassi-Gehen mit Hund ohne Head
Doch kommen wir noch einmal zurück auf den Hund sowie auf die Kritik an Zverev, der mittlerweile 28 Jahre alt ist. Auch auf die harten Worte des ehemaligen „Head of Tennis“ im Deutschen Tennisbund, Becker, der selbst mit 31 Jahren in den Spieler-Ruhestand ging.
Becker, der immer wieder sein freundschaftliches Verhältnis zur Familie der Nummer drei der Tenniswelt betont, hat Alexander Zverev im Herbst 2025 wiederholt wegen sportlicher Durchhänger – etwa bei den US Open – öffentlich kritisiert. Insbesondere in seinem Podcast mit Andrea Petkovic. Dort bezeichnete Becker Zverev unter anderem als „Sorgenkind“ und meinte: „Weltspitze sieht anders aus.“ Zudem bemängelte Becker, dass sich Zverev gegen personelle Veränderungen in seinem Umfeld sträube und sich zu sehr mit Nebenschauplätzen beschäftige, statt sich voll auf Tennis zu konzentrieren. Sascha analysierte daraufhin in einem Bams-Interview eine Suche des einstigen Tennis-Idols nach Aufmerksamkeit: Sollte die tatsächlich über seinen Nachfolger am deutschen Tennishorizont generiert werden?
Petko hört lieber „langformatige Dinger“, sagte Beckers Podcast-Partnerin im Sky-Pressegespräch mit Blick auf heutigen Medienkonsum und Zitate, die rausgenommen und Headlines, die „rausgedingst“ würden. Die Sky-Expertin: „Ich weiß, wenn man das rausnimmt, hört sich das sehr hart an, Aber alles, was Boris gesagt hat, und auch in all den Podcasts, die ich mit ihm aufgenommen habe, so wie er über Sascha redet, finde ich immer sehr empathisch und immer lösungsorientiert.“ Doch räumt die Ex-Top-Ten-Spielerin auch ein: „Ich sehe ein paar Sachen ein bisschen anders als Boris. Ich finde, er möchte das Ganze sehr radikal bei ihm angehen. Das ist nicht meine Position. Ich glaube, das äußere ich auch immer.“ Becker sei da „einfach viel, viel härter, als ich es jemals wäre“. Sie könne Sascha „total“ verstehen, dass er dann da „so sagt: „Ey, ganz ehrlich …“.

Andrea Petkovic erwähnt, dass sie nicht glaube, dass Sascha „morgens, wenn er eine Runde mit dem Hund geht, den Becker-Petko-Podcast hört. „Aber ich denke mal, er kriegt dann halt die paar Aussagen vorgekaut von irgendjemandem, der ihn anruft und deswegen kann ich das total verstehen. Und deswegen versuche ich persönlich nie, auf Headlines zu hören, die aus irgendwelchen langformatigen Dingern rausgenommen wurden, sondern nur das ganze Ding anzuhören.“ Das habe sie gemacht. Die gute Freundin von Angelique Kerber betont: „Ich glaube nicht, dass Boris das für Aufmerksamkeit macht.“ Sie kenne ihn jetzt seit einem Jahr in diesem Format und sie wisse, „dass das einfach seine Meinung ist. Und ich glaube, wer den Podcast lange verfolgt, da ist auch nichts Neues gesagt worden in dem Sinne. Deswegen, glaube ich, ist es einfach seine Position.“ Sie habe eine „ein bisschen andere Position“: „Und Sascha hat dann wieder seine.“
Das ewige Drehen um den deutschen Tennis-Primus
Und warum das ganze Gerenne und Gerede um den Hund und die Herren, um Mishka und Sascha? Petko fasst pragmatisch zusammen: „Er ist einfach unser bester Spieler, den wir seit langer, langer Zeit hatten, Sascha Zverev. Und es ist klar, dass wir uns oftmals um ihn drehen.“
Gehen wir weiter von der Runde mit dem Hunde zum Haifischbecken. Zu finanziellen Spielräumen und zum Geld. Zum Tennis. Oder wie Petko sagt: „Es ist einfach ein absolutes Haifischbecken.“ Die Ex-Spielerin betont: „Wenn man dann seine Familie hat, der man zu hundert Prozent vertraut, wenn man die hat und die um sich geschart hat…“ Sky-Expertin Petkovic nimmt die Kommentatoren und damit auch sich selbst unter die Lupe. All jene, die sich immer wieder mal auf die Frage konzentrieren, was die Familie der Nummer drei der Welt noch mitgeben kann. „Wir vergessen manchmal, was für einen positiven Effekt es hat, die Familie dabei zu haben. Wie sie einen schützt, wie sie einen vor diesem Haifischbecken schützt und auch vor vielen Leuten, die sich dann dranhängen an sehr erfolgreiche und talentierte Spieler.“ Petko kritisiert die Kommentatoren-Zunft, zu der sie mittlerweile auch gehört: „Ich glaube, das vergessen wir manchmal zu erwähnen“.
Sicherlich würde sie sich wünschen, „dass vielleicht jemand dazukommt“. Doch wie BMW-Open-Turnierdirektor Patrik Kühnen vertritt Petkovic in der Sky-Presserunde die Ansicht, dass einzelne Sequenzen und Impulse von außen genügen würden. Sie sei „nicht so extrem, wie jetzt zum Beispiel Boris, mein Podcast-Partner, der sagt, der muss komplett radikal umgeändert werden.“ Sie habe zum Beispiel die Lösung mit Toni Nadal „super“ gefunden, wo Zverev für paar Wochen hingehen und neue Impulse sammeln kann, „aber dann wieder mit seinem Team auf die Turniere geht, wenn es ihm guttut“.
„Ich würde lieber eine Mischung machen, wo er jemanden hat von außen, der ihn berät oder der auch mal neue Impulse setzt“, sagt Petkovic. „Aber trotzdem dieses Team“, das über Jahre in einer der schwierigsten Sportarten dieser Welt erfolgreich gewesen sei: „Dass das nicht gleich komplett aufgemischt wird.“

Kommt das endgültige Aus in der Off-Season?
Allmählich gelangen wir am Ziel an. Beim entscheidenden Thema, das damit zu tun hat, dass auch die fittesten Sportler altern. Selbst vergleichsweise junge Tennisspieler wie Zverev, spüren noch vor ihrem dreißigsten Geburtstag, dass sie schon mit drei Jahren im Training fleißig den Schläger geschwungen haben und der Arm allmählich dauerhaft schwer wird. Was auch von außen zu beobachten ist: Das Alter kommt im Haifischbecken des gelben Bällebads früh und beginnt mit Motivationsverlust und Überdruss an körperlichen Beeinträchtigungen. Die Freude am Spielen geht allmählich verloren und nimmt den Spaß am potenziellen Gewinnen in der ewigen Tretmühle aus Trainieren, Reisen und Turnieren, mit.
Wobei die „Off-Season“, die fünf Wochen zwischen zwei Tennis-Jahren, die härteste Zeit sei, auf die man irgendwann keine Lust mehr hat, erzählen die Sky-Experten Patrik Kühnen und Andrea Petkovic. Da geht es, nach zwei Urlaubswochen, ans Eingemachte im Fitness-Training, in der Saison-Vorbereitung und in der inneren Reflexion. Die allmählich auch einen 38-jährigen Novak Djokovic zum Rücktritt bewegen könnte.
„Bei mir war es so, ich weiß, bei Angie war es so, ich weiß, bei ganz vielen anderen ist es so“, erzählt Petkovic. „Dass du dir irgendwann denkst: „Ich möchte nicht mehr diese Off-Season haben. Ich möchte einfach nicht fünf Wochen lang durch den Schnee im Wald irgendwelche Intervalle laufen. Und irgendwann da, wenn du dieses Gefühl das erste Mal hast, ist es schwierig, sich davon zu lösen. Novak ist eine andere Spezies als wir alle anderen. Aber ich glaube, irgendwann kommt das auch auf ihn zu, dieses Gefühl.“
Straffe Turnierplanung und echte Erfrischungspause vonnöten
Beim 28-jährigen Sascha Zverev geht es derzeit noch weniger ums Rücktrittssehnen, als vielmehr darum, die Off-Season optimal zu nutzen, „Dinge“ neu zu planen. „Ich glaube, dass er sich daran gewöhnen muss, nicht mehr zwanzig zu sein“, sagt die ehemalige WTA-Spielerin. „Das kenne ich von mir, ich kenne das von vielen meiner Kolleginnen und Kollegen: Du bist irgendwann achtundzwanzig, machst aber deine Pläne genauso, als wärst du zwanzig und begreifst irgendwann, dass die Substanz nicht mehr so da ist wie mit achtzehn, neunzehn, zwanzig.“
Die ATP-Tour fordert viel von denen, die Turniere wirklich noch – über die Grand Slams hinaus – in großer Zahl ansteuern. Woche für Woche, anderswo auf der Welt anzutreten, stresst. Mit Blick auf Zverev und seine weiteren Potenziale sagt Andrea Petkovic: „Ich glaube, das hängt nicht nur mit dem Turnierplan selbst zusammen, sondern auch, wie er jetzt seine Offseason gestaltet. Wie viel Pause macht er? Wie baut er seinen unteren Rücken auf, damit er wirklich frisch in die neue Saison geht?“

Zverev komme jetzt in die besten Jahre. „Es ist jetzt nicht so, dass er alt ist. Aber er muss in die Saison frisch gehen, sonst schleppst du das immer mit dir herum.“
Sie hoffe, dass Zverev für die nächsten Jahre den Turnierplan „vielleicht ein bisschen strafft“. Die ehemalige Tour-Spielerin erinnert daran, „dass wenn man eben nicht mehr achtzehn, neunzehn, zwanzig ist, dass man da ein bisschen besser planen muss“. Das sei ihre Hoffnung für ihn für die nächsten Jahre. „Aber spielerisch ist er für mich immer noch der dritte der besten Spieler der Welt momentan.“
Patrik Kühnen sieht für Sascha Zverev große Chancen, aus seinen schwächeren Turnieren von 2025 in der neuen Saison Vorteile zu schlagen. Weil er dort keine hohen Leistungen des Vorjahres bestätigen oder übertrumpfen muss. Und weil er so die Chance auf zusätzliche Punkte gegenüber Jannik Sinner und Carlos Alcaraz auf ihren ersten zwei Weltranglistenpositionen hat. Trotz des Abstands, den die Sky-Experten zwischen den zwei amtierenden Weltranglistenführenden und der Nummer drei sehen. Sky-Experte Kühnen: „Grundsätzlich kann er, wenn die Australian Open vorbei sind, unglaublich viele Punkte machen in den Monaten danach. Und dann sehe ich auch eine Chance, die beiden, die vor ihm stehen, auch noch mal ganz neu anzugreifen.“
Die optimistische Prognose des einstigen Davis-Cup-Kapitäns: „Also da ist schon auch Potenzial da für die nächsten Monate, für Alexander Zwerev, noch mal an die Tür zu klopfen, ganz nach vorne.“ Kühnen ergänzt, kurz vor den ATP-Finals in Turin, nachdem Zverev in Wien erst im dritten Satz des Finales Sinner unterlegen war und in Paris seinen Angstgegner Daniil Medwedew bezwungen hatte: „Diese Spielweise, die wir jetzt sehen, in den letzten Wochen, ist für mich auch der Weg dahin.“
Und wer wird in Turin zum inoffiziellen Weltmeister werden?
„Ich rechne in Turin mit einem starken Alexander Zverev“, sagt Kühnen in der Sky-Presserunde. „Alle fahren dahin, um die Krone zu gewinnen.“ Wie Petko sieht er Sinner gegenüber Alcaraz, unter den Hallenbedingungen, vor heimischem Publikum in Turin, leicht im Vorteil. Wobei letzterer eine längere Erholungspause vor den ATP Finals gehabt habe.
Hinter Djokovic, der sich 2025 erfolgreich vor allem auf die Grand Slams konzentriert und sonst wenige Matches gespielt hatte, setzen beide ein Fragezeichen. Beginnend bei der lange offenen Frage seiner Teilnahme an den ATP Finals.
Die besten Spieler des Jahres spürten auch die meisten Matches im Körper, gibt die Ex-Tour-Spielerin Petkovic zu bedenken. Weshalb „oftmals nicht der beste Spieler, nicht die beste Spielerin des Jahres auch gewinnt“.
