„Erwischt“: Der Kapitän verlässt den sinkenden King-Cup

Sichtlich erschüttert - Rainer Schüttler tritt ab.

Nach zwölf Jahren in der Weltgruppe sind die deutschen Tennisdamen ausgerechnet beim Billie-Jean-King-Cup-Heimspiel im bayerischen Ismaning abgestiegen. Rainer Schüttler mahnt Änderungen an und tritt zurück.

Sichtlich erschüttert - Rainer Schüttler tritt ab.
Sichtlich erschüttert – Rainer Schüttler tritt als Teamchef der Frauennationalmannschaft im Tennis ab. Foto-Copyright: Annegret Handel-Kempf

Von Annegret Handel-Kempf

So sperrig wie der Name „Billie Jean King Cup“ für die Weltmeisterschaft der Nationen seit einigen Jahren klingt, so wenig geschmeidig wirkte das Zusammenwirken des deutschen Frauen-Nationalteams beim Heimspiel in Ismaning bei München. Einem goldenen Novembertag zum Trotz. Der Kitt schien zu fehlen oder zumindest ein Universalkleber, der alle Mitwirkenden in der „Mannschaft“ in fester Zuversicht zu Wundertaten bei den Play-Offs unter schwierigen Vorzeichen hätte motivieren können.

Denn zwei der deutschen Top-50-Spielerinnen, Laura Siegemund und die in den USA lebende Tatjana Maria, sagten verletzungsbedingt ab. Die Dritte Spitzenspielerin, Eva Lys, kämpfte am ersten Spieltag mit ihrem Oberschenkel und am zweiten Spieltag der Deutschen gar nicht mehr. Weil sie am Vorabend gegenüber dem Teamchef fairerweise zu bedenken gegeben hatte, dass sie womöglich nicht bis zum Ende des Matches durchspielen könne. Auch wenn sie zuvor betonte, sie sei “ready“ zu spielen. 

Zuviel einerseits und andererseits umflorte die Frauen-Nationalmannschaft bei ihrem BJK-Gruppenturnier gegen die Türkei und Belgien in Ismaning an jenem fatelen Wochenende zum Jahresende. Am Ende einer langen Saison als Einzelspielerinnen auf der Tennistour. Die Frauen-Mannschaft wirkte müde, desillusioniert. Auch Rainer Schüttler, der inzwischen zurückgetretene Teamchef der Damen, versprühte als On-Court-Coach kein sichtbares Feuer und wirkte nach dem Debakel – kurz gesagt, im Jargon des bayerischen Austragungsorts – „recht grantig“.

Doch da war die Pleite auch schon besiegelt: Die deutschen Damen hatten ihren Platz in der Spitzengruppe verloren. Erreicht hatten sie ihn 2014, in entspannteren Zeiten, als das Event noch Fed Cup hieß. Damals fieberten Nationalstars wie Angelique Kerber und Andrea Petkovic bei den Partien der anderen aufgeregt mit, und trieben sich als Team einig ins Finale.

Doch zurück zu Schüttler, der an diesem Sonntag auf dem Court auffällig unsichtbar wirkte, wenn er seinen Spielerinnen in den Matchpausen bei deren Stühlen Gesellschaft leistete. Traute er Anna-Lena Friedsam, einer treuen und beständigen Nationencup-Spielerin seit gut zehn Jahren, sowie Ella Seidel, die ihr Debüt gab, zu wenig zu? Oder zeigte er ihnen vor, während und nach den Matches zu undeutlich, inwieweit er ihre Einsatzfreude anerkennt: Immerhin führte Friedsam gegen eine fast 14 Jahre jüngere Belgierin, die sichtlich nicht in ihren 18. Geburtstag an diesem Tag hineingefeiert hatte, den zweiten Satz glänzend an?

Strahlte Schüttler gar ein wenig lethargische Untergangsstimmung aus, weil die Top-50-Spielerinnen nicht antraten, während Friedsam und Seidel mehr euphorische Rückenstärkung von ihm gebraucht hätten? Schüttler wirkte auch nach dem Match noch sehr zurückgenommen gegenüber den zwei einspringenden Top-100- und Top-200-Spieleriinnen. Verhalten auch mit Blick auf die Verletzten: „Wir haben drei Top-50-Spielerinnen und heute hat keine gespielt. Ich glaube, mehr braucht man nicht zu sagen.“

Ella Seidel und Rainer Schüttler finden auch auf der Bank beim Abstiegskampf gegen Belgien in Ismaning keine Lösung. Foto-Copyright: Annegret Handel-Kempf

Die psychologisch ausgebildete Laura Siegemund saß trotz ihrer Last-Minute-Verletzungsabsage immerhin mit auf der Team-Bank. Ebenso Eva Lys, die kurz vor dem Abendessen am Vortag des entscheidenden, zweiten Spieltags gegen sicher „fitte Spielerinnen“, so Ex-Kapitän Schüttler, ausgetauscht worden war: Eine Blessur am Oberschenkel hatte die 23-Jährige wohl schon den Sieg im Match gegen ihre Gegnerin aus der türkischen Gruppe, am ersten Spieltag der Deutschen, gekostet.

Abklatschen und wegstecken: Anna-Lena Friedsam muss sich nach drei langen Sätzen geschlagen geben. Die verletzte Laura Siegemund spendet am Rand Trost. Foto-Copyright: Annegret Handel-Kempf

Am letzten und entscheidenden Spieltag ging es gegen Belgien zunächst darum, Anna-Lena Friedsam anzufeuern. Die 32-Jährige, für die es seit jeher selbstverständlich war, im BJK-Cup anzutreten, sofern gewünscht, zeigte in drei Sätzen, während mehr als zweieinhalb Stunden Matchdauer, beharrlichen Kampfgeist. Anna-Lenas Breakchance beim Stand von 3:3 im dritten Satz, sofern genutzt, hätte dem Entscheidungstag sogar eine andere Richtung geben können. Und egal, wie oft es „Einstand“ und „Vorteil“ hieß: Sie versuchte immer wieder, den Spielpunkt für Deutschland zu holen. Auch wenn manches Spiel dadurch episch lang geriet. Am Ende ging die Partie knapp gegen Friedsam aus. Ihre Gegnerin bekam ein Ständchen zum 18. Geburtstag. Anna-Lena spärliche Anerkennung und matten Trost vom Trainer.

Bei Ella Seidel, im nachfolgenden Match, sprangen die Team-Kameradinnen und die deutsche Fan-Kurve erst extrem verhalten auf. Doch nach dem 0:6 gegen eine an Iga Sviatek erinnernde, toughe Belgierin, dem der erste Spielgewinn erst nach einem 0:3 im zweiten Satz folgte, explodierten Team und Fans vor Unterstützungsdramatik. Als hätte Seidel es gerade geschafft, die Deutschen in der Weltgruppe zu halten. Was nicht so war. Auch nach einem nachfolgenden Break, das noch mehr Johlen, Stampfen, Springen, Tröten und Fahnen-Schwingen bei Fans und Teams auslöste, war die Starre bei Seidel zwar gelöst, aber das Wunder keineswegs bewirkt. Die 20-jährige Hamburgerin schaffte es zwar, auf 3:3 im zweiten Satz auszugleichen und eine Zeitlang das Match zu dominieren. Einen 4:6-Satzverlust konnte sie dann doch nicht verhindern.

Das war’s dann mit dem zweiten Match, das die deutsche Gruppe aller Chancen beraubte, noch ein dreizehntes Jahr in Folge in der Weltgruppe der Spitzennationen mitzumischen. „Also die sind alle gerade am Boden zerstört“, sagte Schüttler, der anschließend allein zur Bilanz-Pressekonferenz antrat. „Das haben wir uns natürlich anders vorgestellt“, betonte der 49-Jährige.

Zu bedauern gab es nicht einfach ein verlorenes Turnier. Denn der Wiederaufstieg unter die besten Nationen der Welt wird durch das neue Format erschwert: Die BJK Cup Finals werden von zwölf auf acht Teams reduziert. Er hoffe, dass alle Spielrinnen, die vorne stehen, weiterspielen, sagte ein sichtlich konsternierter Da-Noch-Teamchef Rainer Schüttler kurze Zeit, nachdem der Abstieg feststand. Er finde auch, dass sie in die Pflicht genommen seien: „Dass sie weiter Deutschland vertreten und dann so schnell wie möglich aufsteigen“.

Die erste Analyse des zu diesem Zeitpunkt Noch-Kapitäns: „Absteigen ist nie schön. Das ist ganz klar.“ Und er ergänzte mit Blick auf die zurückliegenden Jahre: „Wir hatten auch schon mal eine Relegation. Wir haben uns da durchgekämpft, und haben einige Partien gewonnen, wo wir nicht der Favorit waren, und haben sie trotzdem gewonnen.“ Fast schon wie ein Seufzer klang der folgende Satz: „Insofern hat es uns jetzt leider erwischt“.

Was nun? Nach zwölf Jahren in der Weltspitze steigt das deutsche Team ab. Und der ratlose Team-Kapitän steigt aus. Foto-Copyright: Annegret Handel-Kempf

Eventuelle Änderungen wollte Schüttler direkt nach dem Match nicht diskutieren beziehungsweise nicht verraten. Erste Auswertungen sollte es im „Dezember-Call“ mit allen Spielerinnen geben, dann auch mögliche Anpassungen, viele „Kleinigkeiten“: „Also, wie man trainiert, wann man anreist, wer im Team dabei ist. Also tausend Sachen“, erläuterte der Ex-Teamchef.

War der Zeitpunkt so spät im Jahr ein Problem, mit entsprechenden Verletzungen, wollte die Autorin dieser Zeilen von Schüttler bei der Pressekonferenz wissen. „Finde ich nicht, weil, wenn es früh ist, dann ist es zu früh, wenn es spät ist, dann ist es zu spät“, antwortete der Ex-Kapitän. „Also ich finde immer: „Das ist so, wie es ist. Und dann müssen wir fit sein.“ Schüttler klang in seiner weiteren Antwort sehr bestimmt: „Wir haben eine Woche, uns vorzubereiten. Jeder weiß, der Termin steht. Und deswegen, ich glaube, da sollte man keine Entschuldigung finden, sondern sollte sagen: „Hey, hier müssen wir fit sein, hier müssen wir ready sein, zu competen. Und ja, jeder kennt den Termin.“

Einen Termin zu kennen, heißt aber nicht immer, auch fit antreten zu können. So wie sich dieses Heimspiel – allen begeisterten Fans und engagierten Helferinnen zum Trotz – darstellte, muss sich beim BJK Cup einiges ändern. Ein Wechsel des Mannschaftskapitäns, der seit 2020 das Team anführte, ist kein Allheilmittel. Unter Schüttlers Leitung erreichte die Mannschaft in fünf Jahren immerhin dreimal die Finals des Nationenwettbewerbs. Jetzt übernahm der Ex-Profi Verantwortung.

„Ich habe diese Aufgabe mit großer Leidenschaft ausgeübt und bin stolz auf die Entwicklung der Spielerinnen und des gesamten Teams. Nach dem enttäuschenden Ausgang der Play-Offs ist jetzt der richtige Zeitpunkt, Verantwortung zu übernehmen und Platz für neue Akzente zu machen“, sagte Schüttler zu seinem Rücktritt.

„Wir danken Rainer Schüttler ausdrücklich für sein außerordentliches Engagement, seine professionelle Arbeit und seinen wichtigen Beitrag für das deutsche Damentennis. Mit seinem großen Einsatz, seiner fachlichen Expertise und seiner menschlichen Art hat er über die vergangenen fünf Jahre die Mannschaft immer wieder zu Bestleistungen geführt“, so DTB-Vorstand Veronika Rücker.

Zurück in die Zukunft: Rücker stehen interessante Möglichkeiten offen, um die Tennis-Truppe neu zusammenzuschmieden. Andrea Petkovic würde sicherlich mit der größten Leidenschaft das Team anleiten. Sie hat auch in der Vergangenheit den Spielerinnen oft schon wertvolle, technische und menschliche Tipps gegeben. Angelique Kerber, ebenfalls Ex-Nationalspielerin, könnte mit zwei kleinen Kindern das überschaubare Amt der Teamkapitänin sicherlich leichter übernehmen als einen anderen Trainerjob, bei dem sie ständig unterwegs sein müsste. Und Laura Siegemund stünde vielleicht auch bald zur Verfügung. Zumindest wäre sie einen Gedanken an sie als Motivationscoach wert.

Änderungen muss es beim Nationencup der Tennisdamen auch international geben. Angefangen beim sperrigen Namen, der nicht den Wiedererkennungswert des „Davis Cup“ der Männer hat und öffentliches Interesse aufgrund seiner geringen Einprägsamkeit und Erklärungsbedürftigkeit eher abtörnt. Auf Dauer dürfte auch die Maxime „Nationalstolz“ nicht genügen, um Spielerinnen dazu zu bringen, vollen Einsatz zu bringen, jederzeit. Dienstverpflichtungsappelle taugen im Sport nicht. Zumindest bei denen nicht, die ihr Geld nicht als Sportsoldatinnen verdienen.

Das Turnier muss terminlich besser eingebettet werden und Ranglisten-Punkte erwirtschaften. Zumal, wenn die Tennistour immer intensiver, länger, anstrengender wird, und die Spielerinnen schon bei den WTA-Tour-Turnieren, bei denen sie wichtige Weltranglistenpunkte bekommen, mit ihren Kräften haushalten müssen.

Und die Zuschauer dürfen nicht stiefmütterlich behandelt werden. Wer anreist, Tickets kauft, unterstützt, damit sich sein Team beim Nationencup getragen fühlt, sollte nach einem entscheidenden Einzelmatch nicht mit Liebesentzug bestraft werden: Warum sollen Spielerinnen, die solidarisch mittrainiert und bereitgestanden haben, wie die 19-jährige Tessa Brockmann, nicht am Ende noch im Doppel antreten? Auch wenn ihr Debüt keinen Wert fürs Weiterkommen mehr hat? Aber die Fans freut – und auch die Familien und Freunde, die ebenfalls zur Chemie der Nationencups als Unterstützertrupps dazugehören.

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