Wege zu digitaler Souveränität und sicherer Halbleiter-Versorgung


Ab ins All?


Der Ausfall von Cloud-Diensten und der Wegfall von dringend benötigten Chip-Lieferungen bringen nicht nur die Automobilindustrie in Bedrängnis. Mehr Unabhängigkeit und Sicherheit stehen auf den Wunschzetteln ganz oben.

Von Annegret Handel-Kempf

Was Abhängigkeiten bewirken, haben Ende Oktober die Probleme der AWS-Server gezeigt, die von Spielen über Sprachlern-Apps bis hin zu Zusammenarbeits-Diensten viele Cloud-basierte Anwendungen an einem Montag außer Betrieb brachten.

Ohne Cloud-Dienste geht in Unternehmen, Behörden und Organisationen nicht mehr viel. Viele dieser Anbieter, wie Microsoft 365, AWS oder Google Cloud, sind in den USA zuhause. Daher wird der US CLOUD Act für die Regeln des transatlantischen Datenverkehrs zum Problem. Zumal er sich schlecht mit dem europäischen Datenschutz versteht.

Stichwort „Digitale Souveränität“: Störungen bei Cloud-Anbietern sowie zunehmende geopolitische Unsicherheiten wecken Aufmerksamkeit dafür, dass Unternehmen ihre Daten nicht vollständig bei einem einzigen Anbieter bündeln sollten. Eine YouGov-Umfrage im Auftrag des Cloud-Enablers und Digitalisierungs-Dienstleisters IONOS unter etwa 4.500 Entscheidern in kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland und Europa zeigte, dass jeweils über 80 Prozent der Befragten IT-Service-Anbieter favorisieren, die ihnen volle Kontrolle über ihre Daten garantieren und diese vor ausländischen Behörden schützen.

Für 89 Prozent der befragten Firmen in Deutschland sei die Hoheit über Unternehmens- und Kundendaten essenziell – der Spitzenwert im europäischen Vergleich. Spanien, Frankreich und Großbritannien folgen mit jeweils 87 Prozent knapp dahinter. Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen in allen Ländern hat, der YouGov-Umfrage zufolge, Sorge vor dem Zugriff ausländischer Behörden auf personenbezogene Daten und Geschäftsgeheimnisse: 87 Prozent der deutschen und spanischen sowie 83 Prozent der britischen und französischen KMU erwarten von ihrem Cloud-Anbieter Schutz vor dieser Gefahr. In Deutschland und Spanien ist, laut YouGov-Umfrage, mit 84 und 81 Prozent der Wunsch nach technologischer Unabhängigkeit von nicht-europäischen politischen Entscheidungen besonders stark ausgeprägt.

Stichwort „Sichere Infrastruktur“: Jeweils über 80 Prozent der befragten Unternehmen betonen die Notwendigkeit von Rechenzentren an sicheren Standorten sowie der konsequenten Einhaltung strenger Normen und Standards durch ihren IT-Provider.

Eine Multi-Cloud-Strategie, kombiniert mit sicheren, souveränen Software-Lösungen auf einer unabhängigen Infrastruktur, die den strengen europäischen Datenschutzrichtlinien entsprechen, sei für kleine und mittelständische Unternehmen genauso unverzichtbar wie für große Konzerne, heißt es bei IONOS.

„Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen fördern“

Welche staatlichen Maßnahmen sind besonders wichtig, um die Versorgung mit Halbleitern in Zukunft zu gewährleisten?  – Digitalverbandschef Dr. Ralf Wintergerst plädiert für eine gute Taktik, für einen gezielten Ausbau von Fähigkeiten und für einen Ausbau des Systems: „Wir sind nicht souverän“. In Sachen „strategische Partnerschaften“ beobachtet der Bitkom-Präsident bei anderen Ländern eine entschiedenere Haltung. „Wir brauchen als Deutschland eine strategische Landkarte mit strategischen Partnerschaften“, sagt er. Und betont, dass 69 Prozent der im Auftrag des Bitkom zur Halbleiter-Versorgung in Deutschland Befragten sagen, dass eine Förderung von mehr Transparenz zu Verfügbarkeit und Lieferketten als strategische Maßnahme wichtig sei. Ebenso viele befürworten, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen staatlicherseits zu fördern. Qualifizierte Fachkräfte im Bereich Mikroelektronik, deren Zuwanderung von der Politik unterstützt wird, wünschen sich 66 Prozent. Langfristige und verbindliche Abnahmegarantien durch strategische Partnerschaften mit internationalen Herstellern befürworten 64 Prozent der befragten Unternehmen, um die Versorgung mit Halbleitern in Zukunft zu gewährleisten.

Wohl damit die Abnabelung von globalen Anbietern leichter fällt, würden 80 Prozent der Befragten steuerliche und förderpolitische Anreize für Kunden im Fall von Bestellungen bei heimischen Herstellern befürworten. Immerhin 72 Prozent plädieren auch für steuerliche und förderpolitische Anreize für Investitionen beispielsweise in Chip-Design, Fertigung und Verpackung. Und 86 Prozent wünschen Subventionen für die heimische Produktion, etwa beim Bau von Halbleiter-Fabriken.

Derweil hakt die sichere Versorgung mit Halbleitern. Am 21. Oktober 2025 kommentierte VDA-Präsidentin, Hildegard Müller, ein Realbeispiel der Chip-Knappheit in der der Automobilindustrie:

„Am 10. Oktober erhielten Automobilhersteller und Zulieferer eine Mitteilung von Nexperia, in der eine Abfolge von Ereignissen beschrieben wurde, die dazu führt, dass das Unternehmen die Belieferung der Automobilzulieferkette mit seinen Chips nicht mehr in Gänze gewährleisten kann.“

Nexperia ist ein wichtiger weltweiter Großlieferant von Halbleitern, die beispielsweise häufig in elektronischen Steuergeräten von Fahrzeugelektroniksystemen zum Einsatz kommen, die aber auch für andere Branchen relevant sind.

Die Situation könnte schon in naher Zukunft zu erheblichen Produktionseinschränkungen, gegebenenfalls sogar zu Produktionsstopps führen, falls die Lieferunterbrechung von Nexperia-Chips nicht kurzfristig behoben werden kann.“ 

Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA)

Der VDA ist seither mit den betroffenen Unternehmen, der Industrie, der Bundesregierung sowie der EU-Kommission in Kontakt. Aktuell sollte der Fokus sein, schnelle und pragmatische Lösungen zu finden.“

Angenommen, aus Theorie und Strategie würde pragmatische Praxis werden: Dann könnte Deutschland zu einem europäischen Zentrum für Mikroelektronik werden, das sowohl technologisch innovativ als auch wirtschaftlich wettbewerbsfähig ist. Und es müssten weniger Notstands-Situationen befürchtet werden, die wichtige Industrien zum Stillstand bringen können. Ein Ausbau der Chip-Produktion in Deutschland könnte auch Europas Position auf dem globalen Halbleitermarkt stärken und zur Sicherung wichtiger Zukunftstechnologien beitragen.

Hinter den Kulissen der vordergründigen Strategie geht es auch darum, dass die globale Wertschöpfungsketten nachhaltiger werden sollten. Nicht nur, dass die Abhängigkeit von außereuropäischen Lieferanten abnimmt.

Keine wirkliche Alternative ist eine Lösung, die zumindest geografisch über dem Kleinmut von Staaten und Staatenbünden liegen würde: Amazon-Gründer Jeff Bezos liebäugelt mit dem Bau von KI-Rechenzentren im erdnahen Orbit. Schwerlastraketen sollten alles, was an Hardware und Infrastruktur nötig ist, ins All bringen. Allerdings gäbe es da technisch, finanziell und rechtlich so manche Bremsen vor deren Start zu lösen. Beispielsweise sind autonome Roboter noch nicht so weit, dass sie komplett selbständig Wartungsarbeiten der Orbit-KI-Rechenzentren übernehmen könnten. Auch dürften sie – wie alle Hardware im All – schnell altern. Intensive Strahlung, krasse Wärme und gigantischen Kühlungsbedarf würden auch den KI-Rechenzentren zu schaffen machen.

Allgegenwärtig wäre immerhin Solarenergie für den Energiehunger der Trainingssysteme für Künstliche Intelligenz. Also auch nachhaltige Energie. Schließlich rechnet die Internationale Energieagentur bis 2030 damit, dass sich der Stromverbrauch globaler Rechenzentren auf etwa 945 Terrawattstunden verdoppelt. Um Wetterkapriolen müssten sich Erzeuger und Nutzer nicht sorgen. Höchstens um Latenzen bei der Datenübertragung. Und zu Fehlern durch die intensive Strahlung. Womit wir wieder bei den Vorteilen eines Ökosystems rund um Halbleiter in Deutschland und Europa – auch anstelle des Orbits – wären.

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