Die Elektronische Patientenakte brauchte 20 Jahre bis zu ihrer Geburt

Künstliche Intelligenz (KI) hat das deutsche Gesundheitswesen erreicht und arbeitet inzwischen in fast jeder siebten Praxis und so mancher Klinik mit. Das ergab eine Umfrage, die der Digitalverband Bitkom gemeinsam mit dem Hartmannbund, Verband der Ärztinnen und Ärzte Deutschlands, unter mehr als 600 Medizinerinnen und Medizinern in Deutschland durchgeführt hat, und die anlässlich des Ärztetages Ende Mai 2025 veröffentlicht wurde.
Mittlerweile zwölf Prozent der Ärztinnen und Ärzte in Praxen oder medizinischen Versorgungszentren gaben an, dass bei ihnen KI zur Unterstützung der Diagnosestellung eingesetzt wird. Bei acht Prozent wird KI in der Praxisverwaltung etwa zur Vereinfachung von Abläufen eingesetzt. Insgesamt sagten 15 Prozent der Befragten, dass KI in mindestens einem dieser Fälle genutzt wird – das entspricht fast jeder siebten Praxis. In Krankenhäusern hat sich der KI-Einsatz seit 2022 sogar verdoppelt. Bei 18 Prozent der Ärztinnen und Ärzte in Kliniken ist KI beispielsweise zur Auswertung bildgebender Verfahren im Team. Vor drei Jahren waren es erst neun Prozent.
„KI kann die medizinische Versorgung individueller und effizienter gestalten – insbesondere in der Prävention, aber auch in der Therapie. Und sie kann Arztpraxen und Kliniken spürbar entlasten – durch präzisere Diagnosen, automatisierte Dokumentation und intelligente Terminsteuerung. So bleibt mehr Zeit für das Wesentliche: die Versorgung der Patientinnen und Patienten“, sagt Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst. Ähnlich klingt die Einordnung durch Dr. med. Klaus Reinhardt, Bundesvorsitzender des Hartmannbundes: „Künstliche Intelligenz bietet enorme Chancen, die Versorgungsqualität zu verbessern und den Arbeitsalltag in Praxis und Klinik zu entlasten. Wenn 78 Prozent der Kolleginnen und Kollegen KI als große Chance für die Medizin sehen und sie bereits in jeder siebten Praxis sowie bei fast jedem fünften Klinikteam zum Einsatz kommt, dann zeigt das: Die Ärzteschaft ist bereit für diese Transformation – sofern sie ethisch reflektiert, ärztlich verantwortet und technisch zuverlässig gestaltet ist.“
Wie um KI kommt im Moment kaum jemand um die Elektronische Patientenakte im Gesundheitswesen herum. Dabei ist die ePA bereits zum 1. Januar 2021 offiziell gestartet, doch der praktische Einsatz in Arztpraxen und Kliniken schwächelte zunächst. Kein Wunder: Ursprünglich mussten Versicherte ihre ePA aktiv beantragen (Opt-in), doch ab 2025 greift ein Opt-out-Modell: Jede gesetzlich versicherte Person erhält nun automatisch eine ePA – es sei denn, sie widerspricht. Seit Ende April 2025 läuft nun der bundesweite Rollout der ePA.
Doch die Technik der Elektronischen Patientenakte verunsichert viele Ärztinnen und Ärzte aktuell noch immer: 86 Prozent glauben nicht, dass die Arbeit mit der ePA technisch reibungslos funktioniert. 66 Prozent fürchten Datenmissbrauch und 62 Prozent einen hohen technischen Aufwand. 61 Prozent hegen Bedenken hinsichtlich einer Überforderung der Ärzteschaft und des Praxispersonals. Bei der Umfrage gaben aber auch 41 Prozent an, sich auf die Arbeit mit der ePA zu freuen – und mehr als die Hälfte (54 Prozent) hätte eine frühere Einführung begrüßt. „Ich würde mal sagen, es ist ein Paradebeispiel verschleppter Digitalisierung in Deutschland, seit über 20 Jahren geplant, jetzt gerade erst eingeführt“, sagte Wintergerst gegenüber Journalistinnen.
Erleichterung durch die digitale Patientenerfassung erhofft
Insgesamt siind Deutschlands Ärztinnen und Ärzten gegenüber digitalen Lösungen in Gesundheitswesen und Medizin offen. So befürwortet die Mehrheit die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA), braucht aber mehr Unterstützung beim Praxiseinsatz. 68 Prozent der Medizinerinnen und Mediziner zeigen sich der ePA zugeneigt, wobei jeweils 34 Prozent „sehr aufgeschlossen“ und „eher aufgeschlossen“ sind. Gleichzeitig fühlen sich jedoch drei Viertel (77 Prozent) nicht ausreichend auf ihren Einsatz vorbereitet – 45 Prozent antworten auf diese Frage mit „Nein“ und 32 Prozent mit „Eher nein“. Als Vorteile der ePA werden etwa die Vermeidung von Doppeluntersuchungen (73 Prozent), die Möglichkeit zur schnelleren Diagnose durch Einblick in die Krankengeschichte (60 Prozent), die Vermeidung von Wechselwirkungen bei der Medikation (59 Prozent) und mehr Transparenz für Ärztinnen und Ärzte insgesamt (58 Prozent) betrachtet. 43 Prozent betonen, mit der ePA werde die Digitalisierung des Gesundheitssystems insgesamt vorangetrieben und 34 Prozent erwarten ein Mehr an Transparenz auch für die Patientinnen und Patienten. 26 Prozent der Befragten sehen besonders die Möglichkeit der Nutzung der Daten für Forschungszwecke.
Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst: „In der elektronischen Patientenakte werden medizinische Daten, Befunde und Untersuchungsergebnisse gespeichert, so dass sie für die Patientinnen und Patienten jederzeit einsehbar sind. Der bisherige, teils holprige Anlauf der ePA für alle zeigt aber: Es braucht jetzt Vertrauen aller Beteiligten. Die ePA muss für Ärztinnen und Ärzte leicht zu bedienen, barrierefrei und mit allen Systemen kompatibel sein. Im Praxisalltag darf die ePA nicht zur Belastung werden, sondern muss die Arbeit erleichtern.“ Der Mann der Praxis verknüpft Hoffnung mit Warnung. Dr. med. Klaus Reinhardt, Bundesvorsitzender des Hartmannbundes: „Die elektronische Patientenakte kann ein Meilenstein für eine moderne, vernetzte Versorgung sein – das sehen auch 68 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte so. Doch 77 Prozent fühlen sich auf ihren Einsatz nicht ausreichend vorbereitet. Dieses Missverhältnis offenbart: Technik allein reicht nicht. Nur wenn wir die ePA alltagstauglich, kompatibel und leicht bedienbar gestalten und das medizinische Personal konsequent mitnehmen, wird sie im Praxisbetrieb wirklich zum Fortschritt.“
Annegret Handel-Kempf