Halbherzige Halbleiter?
Politik und Unternehmen müssen sich stärker auf ein deutsches und europäisches Ökosystem rund um mikroelektronische Bauelemente konzentrieren. Es geht um digitale Souveränität, Unabhängigkeit von Drohgebärden, aber auch um die Zukunft von Deutschland als Hightech- und Industrie-Standort.
Von Annegret Handel-Kempf

Halbleiter taugen nicht für halbherzige Strategien und fürs Taktieren mit Unbekannten: In unserer digitalisierten Welt sind sie fast überall drin. Ohne sie funktioniert keine Künstliche Intelligenz. In der Industrie, aber auch im Privatleben geht kaum mehr etwas ohne mikroelektronische Bauteile, die sich auf Halbleitermaterial wie Silizium zu Chips verbünden.
Nach einer aktuellen Bitkom-Umfrage, verwenden 64 Prozent der Befragten für KI-Anwendungen beziehungsweise fürs KI-Training und KI-Entwicklung spezielle Halbleiter im Unternehmen. In 91 Prozent der befragten Firmen sind Halbleiter im Einsatz, für 80 Prozent sind sie unverzichtbar. US-amerikanische Unternehmen (72 Prozent) führten 2025 bislang die Liste der Bezugsquellen an, gefolgt von China (63 Prozent) und Deutschland (54 Prozent). Eine verstärkte Multi-Vendor-Strategie geben 44 Prozent der Halbleiter-Käufer an. Das Vertrauen gegenüber einer weiteren Versorgung mit Halbleitern aus den USA stellt sich im Herbst 2025 geteilt dar. Insgesamt 62 Prozent sprechen von einem (eher) geringen Vertrauen. Wobei 14 Prozent sagen, dass sie Halbleiter auch künftig aus dem Vereinigten Staaten beziehen werden, obwohl es gleichwertige Alternativen gibt, während 13 Prozent der Befragten angeben, dass sie künftig Alternativen nutzen würden.
Einseitige Abhängigkeiten beenden
Der weltweit derzeit wohl größte unabhängige Auftragsfertiger für Halbleiterprodukte, TMSC, befindet sich mit seinem Hauptsitz und seinen bisher wichtigsten Unternehmensteilen in Taiwan. Kein Wunder, dass sich die Drohungen Chinas gegen Taiwan mit Blick auf die Halbleiterversorgung für 92 Prozent der Befragten als „besorgniserregend“ darstellen. Konsequenterweise fordern 90 Prozent, dass Deutschland seine einseitigen Abhängigkeiten bei der Halbleiterversorgung beenden muss. Und 86 beziehungsweise 85 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass ein starkes Halbleiter-Öko-System in Deutschland wichtig für die nationale Sicherheit sowie entscheidend für die digitale Souveränität sei.
Noch fehlen ein entsprechender Ausbau und ein adäquates Einkaufsverhalten: Unternehmen müssten sich möglicherweise besser sortieren, wenn sie gleichzeitig mehr Unabhängigkeit fordern. Doch das Festhalten am Vertrauten ist allzu menschlich. Zumal wenn das bislang bezogene Material den Qualitätsansprüchen für die eigene Produktion entspricht.
Ein Umschwung ist bei den Prioritäten in der Halbleiter-Beschaffung zu beobachten: Der Preis ist den Befragten nach wie vor sehr wichtig. Doch immer wichtiger ist ihnen auch, dass das Material zuverlässig geliefert wird. Und dass die Hardware sicher ist.
Die Probleme bei der Halbleiterbeschaffung milderten sich in Zweijahresverlauf ab. Gegenüber 2023 haben 2025 mit 60 Prozent fast 30 Prozent weniger Einkäufer Probleme, wenn sie Halbleiter beschaffen. Vier, nicht mehr fünf Monate betrug 2025 die durchschnittliche Lieferverzögerung bei Halbleitern.
Für 2026 rechnen vier von zehn Unternehmen mit einer kritischen Versorgung. Dann heißt es, geeigneten Ersatz zu besorgen, wenn die Produktion nicht einbrechen soll.
Die Unternehmen wappnen sich gegen Lieferengpässe, 96 Prozent haben mindestens eine strategische Maßnahme getroffen. Dazu gehört, eigene Kompetenzen oder Teams im Bereich Chip-Design und Halbleiter-Herstellung aufzubauen. Und natürlich auch, auf mehrere, statt nur einen Lieferanten beziehungsweise Anbieter zu setzen.
Etwa 56 Prozent der Befragten bauen eigene Bestände auf, lagern Halbleiter ein – und binden mit diesen Vorsorgemaßnahmen Kapital in Material, das aufgrund der Innovationsgeschwindigkeiten und Lagerungen altern beziehungsweise leiden könnte, wie Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst berichtet.
Gigantisches Machtpotenzial durch winzige Chips
Die Macht sehr potenter Firmen wächst mit der Ausbreitung der Künstlichen Intelligenz. Über Halbleiter im Verbund mit der von ihr gepowerten KI konnten Giganten wie Nvidia aufsteigen und superreich werden. Eine neue Allianz aus den USA schmiedet sich aus den Tech-Giganten Oracle und AMD, die ihre Kunden für Künstliche Intelligenz leistungsstark ausrüsten kann.
Halbleiter-Versorger haben mit dem Material, das sowohl Strom leiten als auch nicht leiten kann, ein Ass im Ärmel. Denn ohne ausreichende Versorgung mit Halbleitern drohen Stillstand, Verluste oder gar Insolvenz. Viele mikroelektronische Bauteile ergeben auf einem einzigen Stück Halbleitermaterial das mikroelektronische Bauelement namens „Chip“. Sogar viele hundert Millionen Bauteile benötigen moderne Chips und solche, die zu Hochleistungen fähig sind. Im Fall von aktiven Bauelementen, hat jedes Bauteil die Mission, Strom zu leiten. Oder bei passiven Bauelementen beispielsweise einen Widerstand aufzubauen.
Am nächsten kommen uns Halbleiter via Mikroprozessoren. Diese speziellen Chips übernehmen Rechen- und Steuerungsaufgaben. Dafür benötigt jeder einzelne Mikrochip Milliarden von Halbleiter-Bauelementen. Der Einsatzbereich von Mikroprozessoren als Endprodukten der Halbleiter-Industrie geht über PCs weit hinaus.
„Halbleiter stecken in Smartphones, in Medizintechnik, in Autos, Industrieanlagen, Rechenzentren und Kommunikationsnetzen – ohne sie stünden viele Bereiche unseres Lebens still. Ihre Herstellung beruht auf einem hochkomplexen globalen Produktionsnetzwerk, in dem viele Länder eng verflochten sind.“
Dr. Ralf Wintergerst, Präsident des Digitalverbandes Bitkom
China Taiwan und die USA spielen zentrale Rollen für Entwicklung und Produktion der leistungsfähigsten Chips. Ein Konflikt um Taiwan würde daher weit über die Region hinaus die weltweite Chipversorgung massiv stören, fürchtet der Digitalverband.

Derzeit liefern sich die Tech-Giganten global Wettrennen: Halbleiter, Halbleitermaschinen, der Bau von Rechenzentren und das Vorpreschen von KI schieben sich gegenseitig an. Hat Deutschland trotzdem eine Chance, für Europa ein führender Chip-Produktionsstandort zu werden, wenn sich mehr Chip-Fabriken, speziell im “Silicon Saxony“ rund um Dresden ansiedeln, würden?
Die Mikroelektronik setzt für Halbleiter-Bauteile meist auf Silizium. Für KI-fähige Halbleiter, wo viel Rechenleistung auf eine möglichst kleine Fläche passen soll, geht es um höchste Qualität und Reinheit. Dafür soll in der neuen Anlage von Wacker Chemie in Burghausen ultrareines Silizium für die Halbleiterindustrie hergestellt werden. Mit der neuen Linie von Wacker Burghausen, der im globalen Kontext einer der Technologieführer für hochreines Polysilizium ist, schiebt sich die deutsche Halbleiterindustrie ein Stück weiter in Richtung Unabhängigkeit von globalen Lieferproblemen. Anders als in “Silicon Saxony“ geht es in Bayern ansonsten weniger um Produktion, sondern mehr um Forschung und Entwicklung.
Eigenes Ökosystem als Schwergewicht?
Im Sinne der Halbleiter-Strategie der Landesregierung, sollen sich Forschungsinstitutionen und Unternehmen ansiedeln, die auf die neuartigen Chips setzen. So kommen Weltkonzerne wie Apple aus den USA und TSMC aus Taiwan in den Großraum München. Sie investieren Milliarden, um Design- und Entwicklungszentren aufzubauen.
Die Bundesregierung hat am 15. Oktober 2025 die Mikroelektronik-Strategie verabschiedet, mit dem Ziel, Deutschlands Rolle als ein führender Halbleiterstandort zu festigen und auszubauen. Deutschland soll sich mit ihrer Hilfe nicht nur als Anwender, sondern auch als Entwickler und Hersteller von Mikrochips positionieren. Geplant sind unter anderem Pilotproduktionslinien für neue Technologien wie Quantenchips sowie Investitionen in Programme für Hochtechnologien wie Künstliche Intelligenz und klimaneutrale Mobilität.
„Halbleiter stehen im Mittelpunkt internationaler Wirtschaftskonflikte“, so Wintergerst.
„Wir brauchen daher ein starkes Ökosystem von Unternehmen rund um Halbleiter in Deutschland und Europa. So können wir Abhängigkeiten reduzieren und sind weniger erpressbar.“
Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst
Die aktuelle Halbleiterproduktion in Deutschland ist mit rund 30 Prozent der europäischen Waferkapazitäten bereits der größte Standort in der EU. Von einem „Schwergewicht“ spricht Wintergerst. Doch da muss noch mehr gehen.